HD-Zuchtwertschätzung im SV und Erblichkeit der Hüftgelenksdysplasie
Beim SV (Schäferhundverein – Dachverband aller Schäferhundvereine mit Sitz in Augsburg) gibt es ein sogenanntes HD-Zuchtwertschätzungsverfahren. Bei diesem Verfahren bekommt jeder Hund einen sogenannten Zuchtwert. Dies ist eine Zahl, welche aussagen soll, ob ein Hund eine bestimmte Eigenschaft in der Zucht verstärkt oder abschwächt. Dies kann die Krankheit Hüftgelenksdysplasie sein, aber auch andere Krankheiten wie Progressive Retina Athrophie (PRA) oder auch nur Eigenschaften wie langes Fell, Farbe, Größe etc.. Bei der Berechnung des Zuchtwertes werden nicht nur die Eigenschaften des betroffenen Hundes berücksichtigt, sondern auch die von dessen Nachkommen und Geschwistern fließen hier mit ein – da sich dies ja dauernd ändern kann, wird der Zuchtwert für jeden Hund alle 3 Monate neu berechnet und festgelegt. Allerdings ist dies nur Wahrscheinlichkeit und Statistik und ist somit keine endgültige „Wahrheit“ sondern wie der Name schon sagt eine reine Schätzung über die Vererblichkeit bestimmter Merkmale. Auch kann dies nur in einem gewissen Maße funktionieren, wenn sehr viele Informationen über die Population vorliegen, d.h. möglichst alle Hunde untersucht und bewertet werden. Ansonsten werden die Zuchtwerte schnell stark verfälscht, da Annahmen über nicht untersuchte Hunde sehr vage sind.
Ein Zuchtwert von 100 ist ein neutraler Wert, sozusagen der Durchschnitt. Eine Zahl über 100 bedeutet, daß dieser Hund die Eigenschaft/Krankheit verstärkt vererbt, eine Zahl unter 100 bedeutet, daß dieser Hund die Eigenschaft/Krankheit abschwächt. Die Nachkommen bekommen als Zuchtwert den halben Zuchtwert vom Vater plus den halben Zuchtwert von der Mutter. Beispiel: Vater hat den Zuchtwert von 90, die Mutter hat den Zuchtwert von 110 -> die Nachkommen bekommen den Zuchtwert: 90/2 + 110/2 = 100.
Die Zuchtwerte der untersuchten Hunde, deren Röntgenbild beim SV eingeschickt wurden, können auf der HP vom SV eingesehen werden:
HD-Zuchtwerte vom SV (SV-DOxS Hundedatenbank)
Hier noch eine FAQ mit Antworten von Herrn Dr. Beuing, dem wissenschaftlichen Leiter des Projekts:
Es sollten nur Hunde verpaart werden, bei denen der HD-Zuchtwert der Nachkommen 100 oder weniger beträgt. Der SV rühmte sich in der Zeitschrift zum 100jährigen Jubiläum damit, durch dieses Verfahren die Fälle von schwerer HD von fast 30% auf nur 3% reduziert zu haben. Dies war jedoch absolute Augenwischerei! Fakt war, daß zu dem Zeitpunkt nur ca. 25% aller Schäferhunde geröntgt und deren Ergebnisse beim SV zur Auswertung eingeschickt werden. Ob diese Zahlen heute besser sind, weiß ich nicht, da ich es nicht weiter verfolgt habe. Hierbei wurden hauptsächlich die Ergebnisse von Hunden eingeschickt, mit denen gezüchtet werden soll und somit werden HD-Fälle erst gar nicht eingeschickt, zum einen, weil man sowieso mit solch einem Hund Zuchtverbot bekommt, zum anderen um den Ruf des Züchters nicht zu schädigen.
Somit waren die Statistiken des SV, welche nur die erfassten Hunde berücksichtigt, absolut nicht aussagekräftig und sogar verfälscht. Die Tabelle auf der HP von der Orthopedic Foundation for Animals (OFA) zeigt auch, daß die Angaben vom SV nicht stimmen können. Und selbst die Ergebnisse in dieser Tabelle sind sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluß, sondern die Dunkelziffer an erkrankten Hunden wird immer sehr hoch und schwer abschätzbar sein!
OFA HD Statistik vom Jahr 2017:
OFA HD Trend vom Jahr 2017:
An den Zahlen in dieser Statistik kann man ablesen, daß sich in den letzten 20 Jahren, in denen die Zuchtwertschätzung angewendet wurde, die HD Statistik sich scheinbar nicht wesentlich verbessert hat. Immer noch fast 20% der geröntgen Schäferhunde sind dysplatisch (der Anteil der dysplatischen Hunde ist von 22,2% auf 19,2% gesunken). Und man darf bei den Statistiken nicht vergessen, daß die schlechten Röntgenbilder in der Regel erst gar nicht eingeschickt werden und somit in der Statistik fehlen!
Man beachte auch die „Tabelle 2: Rasseverteilung der Hunde mit Hüftgelenk- Totalendoprothesen“ auf Seite 4 im Artikel von F.Gutbrod & D.Festl 01/1995 „Praktische Anwendung und klinische Ergebnisse der Hüftgelenk-Totalendoprothese für Hunde Modell Aesculap“. Der Deutsche Schäferhund steht hier an erster Stelle bei den Hunden, welchen eine Totalendoprothese implantiert wurde.
Erblichkeit der Hüftgelenksdysplasie
Bezüglich des Erblichkeitsgrades von HD habe ich sehr unterschiedliche Angaben gefunden: von 10% bis 60%. Die unterschiedlichen Angaben zeigen, wie uneinig selbst die Forschung noch bei diesem Thema ist. Bei einem Vortrag im April 2016 von der AVLS über HD und ED, der durch den Tierarzt Walter Strikkers gehalten wurde, wurde gesagt, daß die Erblichkeit von Hüftgelenksdysplasie 0,1 (also 10%) und somit die Umweltfaktoren 0,9 betragen. Demnach bestimmen zu 90% Dinge wie Umwelt, Ernährung (Übergewicht, zu viel Kalzium, zu viel Vit. D3 und A), Belastung und zu viel Bewegung während des Wachstums und nicht zuletzt auch der Körperbau an sich die Ausprägung der HD.
Es handelt sich um einen polygenen Erbgang, d.h. es sind mehrere Gene beteiligt und ist somit züchterisch sehr schwer zu bekämpfen. Polgygen vererbte Merkmale sind schwer zu untersuchen, da jedes Gen einen kleinen Effekt auf den Phänotyp hat und die Effekte der verschiedenen Gene sich summieren. Dies bedeutet, daß eine bestimmte Mindestanzahl von diesen Defektgenen vorhanden sein muß, damit ein gewisser Schwellenwert überschritten wird um die Krankheit HD auszubilden.
An der tierärztlichen Hochschule von Hannover wurden Genmarker für HD beim Deutschen Schäferhund gefunden. Dieser Gentest kann bei der Bekämpfung dieser Krankheit hilfreich sein. Inwiefern der Gentest in der Schäferhundzucht Einsatz findet, entzieht sich meiner Kenntnis.
Meine persönliche Theorie warum die HD-Zuchtwertschätzung beim Deutschen Schäferhund nicht den gewünschten Effekt bringt:
Der Deutsche Schäferhund hat bekanntlich einen abfallenden Rücken und starke Winkelungen in der Hinterhand. Gerne sagt man dazu auch "vorne Hund, hinten Frosch". Es ist ein Jammer um diese prächtigen Hunde. Hier mal ein Beispiel von einer aus meiner Sicht optimal gebauten Deutschen Schäferhündin aus alter DDR Linie, die Freunden (und Welpenkäufer) von uns gehört:
Bora hat einen geraden Rücken und keine übertriebenen Winkelungen. Sie ist kerngesund, kräftig und muskulös. Ein Traum von einem Schäferhund! Im krassen Gegensatz dazu stehen die überzüchteten Schäferhunde aus Showlinie, aber selbst Arbeitslinien fallen meist stark ab und sind extrem gewinkelt. Folgendes Foto ist wirklich extrem, aber soll verdeutlichen, was ich meine (ein Klick auf das Foto führt zum Weblog von Jan Demeyere und einem Artikel zum Foto):
Bei den Leistungshunden kann das immer noch so aussehen (Link hinter dem Bild führt zur Quelle):
Unsere Yuma hatte einen sogenannten Karpfenrücken. Vermutlich haben ihre ständigen Schmerzen mit dazu beigetragen, daß sie ihren Rücken hochgezogen hat durch eine Schonhaltung, man sieht das aber bei sehr vielen Schäferhunden. Der Rücken an sich war nicht so extrem abfallend bei Yuma, dennoch hatte sie extreme Winkelungen in den Hinterbeinen und hatte schon seit dem Welpenalter eine instabilen Hinterhand:
Im Vergleich dazu unsere Enya, ihres Zeichens ein Saarlooswolfhond:
Als ich mit Enya in der Welpenschule war, war dort auch ein Schäferhundwelpe von einer renommierten Zucht. Die Besitzer waren ganz stolz und als ich sie darauf ansprach, daß ihr Welpe hinten extrem instabil und ungesund aussieht, meinten sie nur, das wäre ganz normal und muß so sein. Der Hund tat mir nur leid und es ging mir sehr lange nach, aber schau selbst:
Nun zu meiner ganz persönlichen eigenen Theorie, warum die HD-Zuchtwertschätzung beim Deutschen Schäferhund nicht den gewünschten Effekt bringt: Ich kann mir vorstellen, daß der erbliche Faktor natürlich vorhanden ist (es wurden ja auch Genmarker von der Uni Hannover gefunden), aber der Körperbau spielt besonders bei dieser Rasse eine große Rolle bei der Ausprägung der HD. Der abfallende Rücken und die übertriebenen Winkelungen in der Hinterhand führen zu einem extrem instabilen Stand und der Hund knickt mit den Hinterbeinen ständig um, steht extrem kuhessig, wackelt wie ein Wackelpudding beim Laufen und vor allem im Wachstum fällt der Welpe und Junghund sehr oft hin (wie man auch auf dem Video oben sehen kann), dabei drehen sich die Hinterbeine ungünstig ein, was jedes Mal auf die Hüfte geht. Vielleicht ist die Erblichkeit nicht unbedingt der hauptsächliche ausschlaggebende Faktor für die Entwicklung der HD, sondern speziell beim Deutschen Schäferhund der Körperbau und die dabei entstehende Belastung der Hüften insbesondere während des Wachstums. Dies würde erklären, daß die HD-Zuchtwertschätzung nur sehr wenig Effekt hat. Zusätzlich kommt hinzu - wie schon öfter erwähnt - daß die schlechten Röntgenergebnisse in die Zuchtwertschätzung nicht ausreichend einfliessen, da diese gar nicht gemeldet werden.
Eine Unmenge von Informationen über dieses Thema und die Ignoranz eines Züchters und des SV anhand eines konkreten Falls findest Du auf dem Webblog von Jan Demeyere. Sehr interessant ist vor allem der Artikel über die Statistiken des SV: "Statistik HD bei Deutschen Schäferhunden - mit Bemerkungen" (man beachte die "wichtige Note" unter der Tabelle) und in diesem Zusammenhang (auch von mir oben angesprochen) folgender Artikel: "Witz des Jahres 2006", Zitat: "Mittlere und schwere HD haben demnach nicht weniger als 37,93% DSH! Statt die vom SV angegebene 3%."
Auch im österreichischen Magazin „WUFF“ erschienen Reportagen über den Fall von Jan Demeyere, welche hier zum Download zu Verfügung stehen: "Indiana in the Press"
Sehr interessant zu lesen!
Hier möchte ich meinen Respekt und auch Dank an Jan Demeyere aussprechen für dieses umfangreiche und enorm informative Webblog und seine jahrelangen Bemühungen seit dem Jahr 2006 für den Kampf gegen die Hüftgelenksdysplasie beim Deutschen Schäferhund! Er hat mich vor einigen Jahren wegen Yuma's Geschichte mal angerufen und wir hatten ein langes und sehr bewegendes Gespräch, da wir mit unseren Hunden ähnliches mitgemacht haben. Sein Engagement hat sicher schon einiges bewegt!
Eine letzte Anmerkung möchte ich noch im Rahmen dieses Thema machen: Der SV rühmt sich damit, Krankheiten beim Deutschen Schäferhund effektiv zu bekämpfen. Dabei nennt der SV die Hüftgelenksdysplasie und auch die Ellbogendysplasie. Was in der Zucht des Deutschen Schäferhundes aber leider in keinster Weise berücksichtigt wird sind Krankheiten wie das Cauda equina Compressions Syndrom (CECS), unter der auch Yuma leidet, wie viele andere Deutschen Schäferhunde auch, nämlich ca. 30% der Population. Symptome der CECS treten meist erst im fortgeschrittenen Alter auf – doch wenn die Diagnose gestellt wird, wurde der Hund womöglich bereits mehrmals in der Zucht eingesetzt, da der Rücken vor dem Zuchteinsatz nicht untersucht wird, da dies keine Vorschrift ist! Wenn man bedenkt, daß es Deckrüden gibt, die alle 2 Wochen decken (wie auch Yuma’s Vater!), ist es kein Wunder, daß der Deutsche Schäferhund sehr viele Probleme mit solchen Krankheiten hat. Leider müssen es die Hunde büßen!